Vortrag des Psychologen Bölzner über Pubertät und Gehirnentwicklung im Rahmen des Pädagogischen Tages am Gymnasium Hohenbaden

Jugendliche verbringen mindestens acht Jahre an unserem Gymnasium. Es sind dies die Jahre, in welche die viel beschworene und sehr gefürchtete Phase der Pubertät fällt. Daher entschloss sich die Direktion und das Kollegium des Hoba dazu, den Psychologen Herrn Bölzner von der psychologischen Beratungsstelle Baden-Baden als kompetenten Redner zu diesem Thema für den Pädagogischen Tag 2020 einzuladen, um sowohl die Lehrer als auch interessierte Eltern und SchülerInnen über die Umbrüche, die während der Pubertät im Gehirn vorgehen, zu informieren. Das experimentelle Konzept des Tages, nicht nur Lehrer, sondern auch Eltern und SchülerInnen einzubinden, sah nach dem Vortrag die Arbeit in vertiefenden oder thematisch anschließenden Gesprächskreisen vor. Da die Inhalte des Vortrags von sehr vielen Zuhörern als wertvoll und erleuchtend bezeichnet wurden, sollen die wichtigsten Fakten sowie die sich daraus ableitbaren Konsequenzen im Folgenden dargestellt werden:

  • Das menschliche Gehirn ist das komplexeste Rechenzentrum des Universums. Es verarbeitet Impulse mit einer Geschwindigkeit von 50 Megabyte pro Sekunde. Gemeinhin bezeichnen wir als „Lernen“, wenn sich „Trampelpfade“ im Hirn bilden, indem beim Üben immer wieder die gleiche Reihenfolge von Nervenzellen abgeklappert wird und sich Verbindungen zwischen den jeweiligen Nervenzellen gebildet haben. Dabei kann die Geschwindigkeit des „Lernwegs“ erhöht werden, indem das Gehirn „Abkürzungen“ zwischen den jeweiligen Nervenzellen findet.

Im Alter von zwei Jahren existieren im Gehirn die maximale Verknüpfung zwischen den Nervenzellen. Danach gilt das Motto „use it or lose it“, was ungefähr bedeutet: Gebrauche die Verknüpfung der Nervenzellen durch Aktivierung oder nimm deren Abbau in Kauf! Veränderungen im Gehirn sind also durch die jeweilige (Nicht-) Benutzung bedingt.  

  • In der Pubertät entwickelt sich das Gehirn: Die Bildung einer Myelinschicht, die im Prinzip eine Isolation der Verbindungen zwischen zwei Nervenzellen darstellt, im Alter zwischen 10 und 20 Jahren ermöglicht eine bis zu einhundertfach schnellere Arbeitsgeschwin-digkeit, so dass die Lernfähigkeit in dieser Phase stark zunimmt. Die Kehrseite hiervon ist jedoch, dass auch die Vergesslichkeit zunimmt, wenn Verknüpfungswege nicht häufig genug gebraucht werden. Je nach Nutzung des Gehirns schwankt der IQ-Wert eines Jugendlichen zwischen 12 und 16 Jahren daher um bis zu 20 Punkte. Eine Veränderung auf der Skala um die genannte Punktzahl ist – je nach Neugierde und Training des Gehirns – nach oben wie auch nach unten möglich.
  • Während der Umbauphase, also bevor es zur Steigerung der Arbeitsgeschwindigkeit kommt, treten starke Einbrüche der Gehirnleistung hinsichtlich der Merkfähigkeit auf. Darauf kann man reagieren, indem man immer nur eine Anweisung gibt oder mehrere Anweisungen schriftlich festhält. Beim Lernen muss darauf geachtet werden, dass die jeweiligen Verknüpfungen entsprechend häufiger hergestellt werden müssen, z.B. indem eine Vokabel sehr häufig abgefragt wird.
  • Ab dem zehnten Lebensjahr nimmt die Gehirndurchblutung ab. Bei Mädchen nimmt sie ab ca. 16 Jahren wieder zu, bei Jungs erst etwas später. Besonders von diesem Phänomen betroffen sind die Hirnareale, in denen Gefühle verarbeitet werden und die für angemessene Reaktionen auf Reize sorgen. Die Amygdala, das „Frühwarnsystem“ in unserem Gehirn, steuert in dieser Zeit die emotionalen Reaktionen auf Reize. Sie kann jedoch nur zwischen drei Verhaltensweisen entscheiden: Kampf, Flucht oder Stillhalten. Auch auf sehr geringe Reize können daher recht große Reaktionen (lautstarker Konflikt mit den Eltern, Türenknallen auf der Flucht) oder „Einfrieren“ folgen. Von Erwachsenen als unangebracht und/oder überzogen empfundene Gefühlsausbrüche sind als Folge der eingeschränkten Durchblutung zu erklären. Die Pubertierenden benötigen in diesen Situationen etwas Zeit, um die falsche Einschätzung des Gehirns als solche erkennen zu können. Nach Abschluss der Gehirnentwicklung übernimmt das Frontalhirn, nämlich der Bereich, der künftige Folgen des eigenen Handelns abschätzen kann (siehe den nächsten Punkt), die Dominanz beim Reagieren auf Reize.
  • Das Frontalhirn entwickelt sich besonders stark. Dessen Ausbau kann bis zum 25. oder gar bis zum 40. Lebensjahr andauern. Es ist für die langfristige Planung und Impulskontrolle zuständig, die man zur Selbstorganisation benötigt. Erst nach einer Ausbildung des Frontalhirns ist man also in der Lage, für sich selbst zu planen, z.B. jeden Tag eine Stunde für die in fünf Tagen anstehende Mathearbeit zu lernen, bevor man im Schwimmbad das gute Wetter genießt. Den Reiz von Sonnenschein und von zum Aufbruch drängenden Freunden kann man erst kontrollieren, wenn das Gehirn die entsprechende Entwicklung abgeschlossen hat. Bis dahin bedarf es der Hinweise und Regeln von Erwachsenen, also äußerer Einwirkung, um Kinder und Jugendliche zur Arbeit vor dem Vergnügen zu bewegen.
  • Außerdem nimmt auch die Geschwindigkeit beim Erkennen von Gefühlen anderer zeitweilig ab. Daraus entstehen häufig Konflikte. Erkennt ein Jugendlicher nicht, dass sein Gegenüber müde und nicht beleidigt oder sauer ist, kann darüber leicht ein Streit ausbrechen: Für den Jugendlichen ist nicht nachvollziehbar, warum der Gegenüber eingeschnappt sein sollte, was das Gefühl der Wut auslöst. Diese emotionale Aufwallung ist wiederum dem Gegenüber unverständlich. Die Wahrnehmungen gehen gänzlich aneinander vorbei und ein lauter Streit bricht aus. Dem kann vorgebeugt werden, indem man durch Sprechen über Gefühle und Stimmungen die Unsicherheiten in der Deutung ausräumt.
  • Während der Entwicklung des Gehirns ist das Belohnungssystem nicht so stark ausgeprägt: Ungefähr 25% weniger Glückshormone werden ausgeschüttet. Die Jugendlichen nehmen folglich Spaß in einer geringeren Intensität wahr. Daraus folgt, dass sie risikoreiches Verhalten zeigen, da das Gehirn auf gemeisterte Aufgaben weiterhin mit Belohnung reagiert. Darauf können Erwachsene reagieren, indem sie sportliche und anregende, aber sichere Aktionen wie den Besuch eines Hochseilgartens planen. Dies kommt auch der gesteigerten Risikobereitschaft von Jugendlichen entgegen. Diese wird ausgelöst von der größeren Menge des Botenstoffes Dopamin, der im Gehirn von Jugendlichen vorhanden ist. Die große Menge hiervon erschwert eine realistische Einschätzung von Gefahren. Hier müssen betreuende Erwachsen Hilfestellung leisten.

Jugendliche versuchen – besonders dann, wenn sie keine alternativen Angebote erhalten – ihr Spaßempfinden durch den Konsum von Drogen zu erhöhen. Der Konsum von Nikotin, Alkohol, synthetischen Drogen sowie dem Internet jedoch steigert das Empfinden von Glück zwar kurzfristig, sorgt aber langfristig dafür, dass dauerhaft weniger Glückshormone vom Körper selbst produziert werden, was in einen Teufelskreis von immer stärkerem Konsum und immer geringerer Produktion von Glückshormonen mündet. Entsprechend schwierig ist der Ausbruch aus der Sucht für Personen, die im Jugendalter mit dem Konsum der jeweiligen Droge begonnen haben. Zudem sind die Schäden, die der Körper und das Gehirn, die sich ja in einer Entwicklung befinden, vom Konsum in der Pubertät davontragen, weit stärker und bisweilen dauerhaft.

  1. So schädigt das Rauchen im Jugendalter deutlich stärker, als wenn man nach Abschluss der Pubertät mit dem Rauchen beginnt. Für Jungen sind die Schäden mit dem Faktor fünf, für Mädchen sogar mit dem Faktor sieben zu multiplizieren. Raucht ein Mädchen also im Alter von dreizehn bis siebzehn, so ist dies so schädigend, als würde eine Person, die nach der Pubertät mit dem Rauchen begonnen hat, 35 Jahre rauchen.
  2. Bei frühzeitigem und häufigem Alkoholkonsum geht die Merkfähigkeit von Jugendlichen dauerhaft um bis zu zehn Prozent zurück.
  3. Nahezu die Hälfte der Jugendlichen heute gilt als internetabhängig. Dabei sind nicht mehr die Spiele, sondern vor allem soziale Plattformen das Suchtmittel. Die durchschnittliche Nutzungsdauer des Internets von 14–18jährigen liegt laut einer Studie von ARD und ZDF von 2018 bei fünf Stunden und vierundvierzig Minuten. Fast die Hälfte der Eltern internetsüchtiger Jugendlicher gibt keine Regeln für die Nutzung des Internets vor. Dies ist Bestandteil des Problems, eine konsequente Haltung der Eltern aber könnte maßgeblich zur Besserung des Internetkonsums der Jugendlichen beitragen.
  • Besonders problematisch ist die intensive Handy-Nutzung, die den Besitzern im wahrsten Sinne des Wortes bereits in Fleisch und Blut übergegangen ist, da das Gehirn sich auf die dauerhaften Reize, die vom Handy ausgehen, eingestellt hat. Das Gehirn eines routinierten Smartphone-Nutzers reserviert einen gewissen Teil der Aufmerksamkeit für das Handy, selbst wenn dieses ausgeschaltet ist, ohne dass dies dem jeweiligen Menschen bewusst ist. Bei einem Test in Chicago, der hohe Aufmerksamkeit erfordert, konnte diese Erkenntnis für die Personengruppe, die ihr Smartphone häufig gebraucht, festgestellt werden: Personen in den Testsituationen A (Handy liegt ausgeschaltet auf dem Tisch) und B (Handy befindet sich ausgeschaltet in der Tasche) schnitten im Test wesentlich schlechter ab, als diejenigen in der Testsituation C, in welcher das Handy sich unerreichbar in einem anderen Raum befand. Daraus resultiert die Empfehlung, das Handy bei Klassenarbeiten nicht in der Nähe des eigenen Platzes aufzubewahren, schon gar nicht in der Hosentasche, in der es dauerhaft sensomotorisch wahrgenommen wird, sondern außerhalb des Klassenraums (zuhause, im Spind) oder in einer unzugänglichen Box beim Lehrer.
  • Da die Umbauten in Körper und Gehirn eines Pubertierenden anstrengend sind, benötigen Jugendliche ca. neun Stunden Schlaf. Sonst dauert die Umbauphase des Gehirns umso länger. Allerdings wird das Hormon Melatonin, das Müdigkeit auslöst, in der Pubertät eineinhalb bis zwei Stunden später als während der Kindheit ausgeschüttet. Jugendliche können daher erst später einschlafen.

Blaues Licht an technischen Geräten verzögert die Melatonin-Ausschüttung noch weiter. Daher sollte darauf geachtet werden, einen Blaulichtfilter einzuschalten oder die Geräte nicht im Raum, in welchem man schläft, zu platzieren.

Eine weitere Konsequenz aus diesem Fakt wäre ein später beginnender Unterricht während der Pubertät, da die Schüler dann trotz der verzögerten Melanin-Ausschüttung genügend Schlaf erhielten. Dies ist in Schweden und vereinzelt in den USA erfolgreich ausprobiert worden.

Die Pubertät wurde zwar schon zur Zeit von Sokrates durch Erwachsene als problematische Phase in der menschlichen Entwicklung geschildert, seit ca. 40 Jahren aber ist eine neue Situation festzustellen, welche die Entwicklung für heutige Jugendliche zusätzlich erschwert: Die von den Hormonen Östrogen (bei Mädchen) bzw. Testosteron (bei Jungen) ausgelöste Pubertät beginnt in einem immer früheren Alter. Der Körper von Mädchen und Jungen tritt um Jahre früher in die Pubertät ein als noch in den 1970ern. Die Problematik hierbei liegt in der gleichbleibenden Geschwindigkeit der Gehirnentwicklung. Die Entwicklungsverläufe von Körper und Gehirn sind folglich nicht mehr parallel! Dies verschärft die Unsicherheit der Jugendlichen in der Pubertät.

Aufklärung der Betroffenen und Einfühlungsvermögen von Erwachsenen sowie weitere Forschung sind die bisher einzigen Reaktionsmöglichkeiten. Dessen sind wir, das Kollegium des Hoba, uns bewusst. Wir integrieren unser Wissen über die Situation unserer SchülerInnen in unseren Unterricht und den außerunterrichtlichen Umgang mit den Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen unserer Schulgemeinschaft und bieten uns als Ansprechpartner bei Problemen an.

Kristin Breitsch

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