SchülerInnen der Klasse 10a und des Musikkurses der K2 besuchten eine Aufführung mit John Neumeiers Hamburg-Ballett beim „Beethoven-Projekt II“ im Festspielhaus Baden-Baden
Diese Sinfonie könne „nur im unglücklichen – im trunkenen Zustand komponiert sein“, befand Clara Schumann, als sie Beethovens 7. Sinfonie zum ersten Mal hörte. Der Komponist Carl Maria von Weber ging in seinem Urteil über das Werk noch weiter: Beethoven erweise sich als „reif fürs Irrenhaus“. Aus den Zitaten spricht großes Unverständnis der damaligen Musik-ExpertInnen. Zu neu war es, was Beethoven ihnen da zumutete. Das ist teilweise sogar verständlich: Im ersten Satz verzichtete er auf ein (erwartetes) zweites Thema, den zweiten Satz gestaltete er als Variationensatz im Trauermarsch-Duktus und im dritten und vierten Satz steht der mal derb-polternd, mal ausgelassen-unbeherrscht zur Geltung gebrachte Rhythmus im Vordergrund. Als „Apotheose des Tanzes“ bezeichnete – nun wieder wesentlich wohlwollender im Ton – Richard Wagner Beethovens Meisterwerk. Und damit scheint es für eine choreographische Umsetzung, wie sie nun John Neumeier und sein Hamburg Ballett im Festspielhaus Baden-Baden präsentierten, wie geschaffen.
Der Ballett-Abend stellte jedoch erst andere Werke Beethovens ins Zentrum der tänzerischen Auseinandersetzung. Die Violinsonate in c-Moll, op. 30/2, Auszüge aus dem Oratorium „Christus am Ölberge“ op. 85 (mit Tenor Klaus Florian Vogt) sowie der 2. und 3. Satz der Waldstein-Sonate für Klavier, op. 53, sind zusammen mit der 7. Sinfonie ein Programm, das für unsere Konzert-Gewohnheiten zwar ungewöhnlich erscheint, zu Zeiten Beethovens aber durchaus gängige Praxis darstellte. Wie luxuriös geradezu, dass alle Musik im Festspielhaus live gespielt wurde und nicht von Band erklang. Neumeier choreographierte auch die Übergänge zwischen den Werken, schaffte sogar Verknüpfungen von den TänzerInnen zu den Musizierenden, gestaltete die musikalische Struktur sowie die Motivik und Thematik durch Bewegungs-Impulse, ahmte die kompositorischen Mittel nach und ließ auf einer Meta-Ebene Beethoven selbst auftreten. Die Vielzahl der choreographischen Elemente fügte er im Ensemble im letzten Satz der Sinfonie zusammen. Ein unglaubliches Meisterwerk, das John Neumeier einmal mehr gelungen ist.
Den SchülerInnen, die dank des Kolumbus-Education-Programms des Festspielhauses Baden-Baden zum „Kino-Preis“ das Konzert besuchen durften, fiel die hohe künstlerische und tänzerische Qualität auf, beeindruckte die Leichtigkeit und Schwerelosigkeit, mit der sich die Ausübenden auf der Bühne zu bewegen schienen, sie ließen sich vor allem vom Orchester begeistern („Mein bestes Live-Konzert, das ich bisher gehört habe“) und fragten nach den interpretatorischen Leerstellen („Was bedeutete eigentlich die Banane?“).
Nach sehr kurzweiligen zwei Stunden brauchte es nochmal Geduld, die aber belohnt wurde:
Die SchülerInnen konnten John Neumeier selbst begegnen, der sich über deren Konzertbesuch sehr freute und nicht nur Autogramm-Wünsche erfüllte, sondern auch zu einem gemeinsamen Foto bereit war.
Nach zwei Jahren des Konzertverzichts aufgrund der Pandemie genossen wir es alle, neue musikalisch-tänzerische Eindrücke bei John Neumeier und seinem Hamburg-Ballett gewinnen zu dürfen. Und wir lernten: Beethoven war keinesfalls beim Komponieren betrunken – aber berauschen lassen konnte man sich als Zuschauer von diesem Abend schon.
Achim Fessler, 1. Oktober 2022